Adam

Cerro Torre

Sein erster Satz an uns war „take care“. Und er sagte das so, dass wir uns danach fragten, ob das wohl eine Drohung gewesen war. Er hatte tatsächlich ein wenig bedrohlich gewirkt wie er da herumlungerte, lässig gegen die Wand gelehnt, völlig unbeteiligt, verwegener Bart, Harry Potter-Brille.
Sein nächster Satz, nur wenige Stunden später, war „Do you have a bottle opener?“
Und diese Frage öffnete nicht nur seine Bierflasche, sondern auch das Gespräch und eine Freundschaft. Vielleicht.
Er war Pole, wir waren Deutsche.
Er erzählte uns von der Antarktis. Von Pinguinen. Von Wind.
Wir erzählten ihm vom Urlaub.
Er kannte einige deutsche Worte. Übersetzungsversuche.
Es war Smalltalk erstmal. Doch irgendwie war es auch schon mehr.

Am nächsten Abend gesellte er sich nicht zu uns. War das etwa schon Enttäuschung, was ich spürte?

Einen Tag später holte er uns ein. Auf dem Weg nach oben. Auf dem Weg zur genialen Aussicht. Auf einem qualvollen, anstrengenden Weg. Und er machte den Weg erträglicher. Er sagte uns seinen Namen. Dabei wussten wir den schon. Zumindest ahnten wir es. „Have you seen this polish guy named Adam?“, waren wir gefragt worden.
Wir sagten ihm unsere Namen. Er fragte nochmal nach. Es schien ihm wichtig zu sein. Er merkte sie sich. Etwas, worüber ich mich noch lange freuen sollte.
Er erzählte von seinem Leben. Von Zweifeln und Gefühlen und Erlebnissen.
Wir erzählten von unseren Leben. Von Zweifeln und Gefühlen und Erlebnissen.
„What does ‚Reisefieber‘ mean?“
Fotos machen. Irgendwann auch voneinander und dann sogar eines miteinander. Das ist mein schönstes Souvenir.

Den Rückweg mussten wir ohne ihn bewältigen. Enttäuschung und Erleichterung zugleich. Denn der Rückweg war eine Qual für meinen Körper und ich wollte nicht schwach aussehen und er war doch so beeindruckt gewesen, weil ich so tough war und ohne Schmerztabletten auf diesen Berg bin. „You should do climbing“, hatte er gesagt und ich war mir nicht sicher gewesen, ob er sich über mich lustig machte, doch dann hatte er gesagt „I mean, that says a lot“. Danke, Adam.
Irgendwann endlich den Rückweg überstanden. Mein ganzer Körper führte Krieg gegen mich.
Wir gingen dorthin, wo wir Adam vermuteten. Ich vermutete gar nichts mehr, jedoch war F. dabei, um auf mich aufzupassen und er wusste, dass Adam auf mich aufpassen würde.
Was für ein Glück – Adam saß da, alleine, lesend.
F. setzte mich bei ihm ab. Adam sah mich an. „Girl, you need to eat!“ Es half.
Danke F. und Danke Adam.

Am nächsten Morgen gemeinsam gefrühstückt. Freude bei uns, weil Adam sich zu uns setzen wollte. Ich hatte schon befürchtet wir nerven ihn.
Wichtige Lektion gelernt: Rührei mit Käse.

Nächste Tour nur F. und ich. Bei der Rückkehr lange Gesichter: Adam war aufgebrochen. Schade, da ohne Abschied. Doch er hatte sicher seine Gründe und wir hatten seine E-Mail-Adresse und wir würden ihm bald mal schreiben.

Abends dann sah ich ihn vor dem Fenster und ich begann zu strahlen. Er war extra zurückgekommen, um sich zu verabschieden. Umarmung. Freude. Schickt mir die Bilder. Ja, machen wir bald. Danke. Besuch uns. Besucht mich. Das wäre cool. Ja, das wäre cool. Viel Spaß. Euch ebenfalls. Viel Glück. Danke. Tschüss. Auf Wiedersehen. Hau rein.

3 Gedanken zu “Adam

  1. Ich mag Deinen Stil: kurze Hauptsätze, Stichwortsätze, nur einzelne Worte. Das schafft ein ganz eigene Dynamik, scheinbar protokollartig unromantisch, und doch transparent auf die Gefühle und die Sehnsucht hin. Tolle Text!

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